Die Mythen der Prüfinstanzen – Wahrheit oder Pflicht? Teil 2: Risikoeinschätzung & Strukturmodell

Liebe Pflegekollegen,

freuen Sie sich in den heutigen PflegeNews auf mehr Klarheit und Sicherheit zu den Themen Risikoeinschätzung und Assessments. Denn auch hier gibt es mittlerweile kaum Grenzen in der mystischen Welt der Prüfinstanzen. Lassen Sie uns einfach mal genauer hinschauen: 

Mythos 1: Zuerst wird die Risikomatrix ausgefüllt, dann die Themenfelder der SIS® beschrieben

Mit dieser Aussage wird die Risikomatrix zum Bingo-Spiel. So kann die Risikomatrix gar nicht funktionieren. Denn die Kreuzchen in der Risikomatrix beziehen sich immer auf Ihre individuelle fachliche Einschätzung, die Sie im jeweiligen Themenfeld beschrieben haben. Erst wenn im passenden Themenfeld eine fachliche Einschätzung zu einem Risiko beschrieben ist, dann setzen Sie das Kreuz in der Risikomatrix.

Die Erklärung von ein-STEP finden Sie in den Schulungsunterlagen auf S. 33 f.:
„Zusätzlich werden mögliche Risiken mit der pflegebedürftigen Person und Vorschläge zu entsprechenden Maßnahmen in einzelnen Themenfeldern besprochen und das Ergebnis festgehalten. Es ist später die Grundlage um die Einschätzung in der Risikomatrix nachvollziehbar vorzunehmen. Wichtig: Das Ausfüllen der Risikomatrix erfolgt erst, wenn alle Themenfelder ausgefüllt sind und nicht nachdem ein einzelnes Themenfeld bearbeitet wurde. Es geht zunächst um das Sammeln aller Informationen und danach erst um die Aus- und Bewertung aller gesammelten Daten in Bezug auf die Risiken und Phänomene der pflegebedürftigen Person.“

(S. 33, Informations- und Schulungsunterlagen zur Einführung des Strukturmodells in der ambulanten, stationären und teilstationären Langzeitpflege, Bundesregierung).

Mythos 2: Sobald ein Risiko hinzukommt, muss dies in der Risikomatrix der SIS® eingetragen und im passenden Textfeld hinterlegt werden. Ein Risiko über den Bericht und die Maßnahmenplanung sein nicht ausreichend

Handelt es sich um ein Risiko, das bei der Aufnahme nicht erkannt wurde und bietet die einzige Veränderung, dann ist ein passender Berichtseintrag und die Anpassung des Maßnahmenplans ausreichend. Sehen Sie jedoch eine gravierende Veränderung, dann darf die SIS® neu erfasst werden.

„Eine möglicherweise nichtzutreffende Einschätzung durch die Pflegefachkraft fällt sofort durch tagesaktuelle Einträge im Berichteblatt auf. Dies wird spätestens in der Dienstübergabe (oder auch vorab kollegial) zur Sprache kommen, neu bewertet und unmittelbar darauf im Maßnahmenplan reagiert… je nach Ergebnis ist eine Anpassung des Maßnahmenplans…erforderlich.“

(S. 52, Informations- und Schulungsunterlagen zur Einführung des Strukturmodells in der ambulanten, stationären und teilstationären Langzeitpflege, Bundesregierung).

Mythos 3: Diverse Assessments sind im Strukturmodell erforderlich

Hier erhalten Sie ein ganz klares NEIN! Im Strukturmodell verzichten wir bewusst auf Checklisten oder sonstige Erhebungsinstrumente, um die Fachlichkeit zu stärken. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass die Checklisten meist gedankenlos ausgefüllt wurden und manche Abfragen entgegen der Individualität des Klienten sind. Eine fachliche Einschätzung bietet einen individuellen Überblick über die Situation Ihres Klienten.

„Das Prinzip der Abkehr des schematischen Einsatzes von Checklisten und Erhebungsinstrumenten im Strukturmodell hat den Vorteil, dass Risiken und Phänomene nun im konkreten Zusammenhang mit dem Befund in den Themenfeldern betrachtet werden. Pflegerische Probleme der pflegebedürftigen Person werden nicht mehr isoliert (‚nebeneinander pro Risiko‘), sondern im Hinblick auf ihre Gesamtsituation (im Überblick) wahrgenommen und eingeschätzt.“

(S. 49, Informations- und Schulungsunterlagen zur Einführung des Strukturmodells in der ambulanten, stationären und teilstationären Langzeitpflege, Bundesregierung).

Mythos 4: Gibt ein Bewohner bei der Aufnahme keine Schmerzen an, ist ein Hinweis darauf in der SIS® nicht ausreichend. Das Assessment muss trotzdem durchgeführt werden

Die SIS® und die Risikomatrix gelten als Anamnese und Befunderhebung. Gibt Ihr Klient keine Schmerzen an und Sie sehen als Fachkraft, er sieht schmerzfrei aus, dann ist genau diese Beschreibung in der SIS® völlig ausreichend.

Wie in Mythos 3 beschrieben, erfolgt im Strukturmodell eine Abkehr von diversen Checklisten und Erhebungsinstrumenten, denn diese sind nicht aussagekräftig genug.

Dazu hat auch das DNQP eine passende Richtlinie veröffentlicht: 

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)

Mythos 5: Tägliche Ess- und Trinkprotokolle sind bei an Demenz erkrankten Bewohnern zwingend

Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Überlegen Sie einfach, ob Ihr Klient täglich in etwa die gleiche Menge an Flüssigkeit zu sich nimmt. Dann könnte es ausreichen, die genauen Angaben im Maßnahmenplan zu hinterlegen und beispielsweise quartalsweise für ein paar Tage ein Trinkprotokoll zu führen. Entscheiden Sie selbst zum Wohle Ihrer Klienten.

Mythos 6: Die Selbstbestimmung darf bei Risiken ignoriert werden

Achtung: Die Selbstbestimmung Ihrer Klienten hat IMMER Vorrang und darf selbst durch den MD nicht übergangen werden.

Beispiel:

Bei einem Risiko Mangelernährung fordert der MD ein Nahrungsprotokoll, obwohl der Klient selbst bestimmt, was er zu sich nehmen möchte.

Wenn Ihr Klient sich über seinen Ernährungszustand klar äußern kann und selbst entscheidet, was und wieviel er zu sich nimmt, stellt sich der Sinn eines Nahrungsprotokolls in Frage. Der Klient bestimmt selbst, warum soll es dann in einem Protokoll erhoben werden? Der Hinweis in der Maßnahmenplanung mit Ernährungsangebot und der Nachweis eines Beratungsgesprächs sind ausreichend.

Mythos 7: Blutdruckmedikamente führen automatisch zu einer Sturzgefahr

Vermutlich kennen Sie schon die Antwort. Stellen Sie sich gerne die Frage, ob jeder Klient bei Ihnen, der ein Blutdruckmedikament einnimmt, eine Sturzgefahr hat? Dieser Mythos scheint aus einem Assessment zum Thema Sturz zu stammen. Daran sehen Sie, dass eine individuelle Einschätzung im Themenfeld der SIS® oder später über das Berichteblatt eine höhere Qualität besitzt, als eine routinierte schematische Einschätzung.

Stattdessen gilt es, die individuelle Situation der pflegebedürftigen Person zu dem jeweiligen Thema zu dokumentieren.“

(S. 33, Informations- und Schulungsunterlagen zur Einführung des Strukturmodells in der ambulanten, stationären und teilstationären Langzeitpflege, Bundesregierung).

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In Prüfsituationen ist der Druck bzw. die Anspannung sehr hoch. Behalten Sie einen kühlen Kopf und seien Sie in Ihrer Fachlichkeit bestärkt! Legen Sie Ihren Fokus auf das Wichtigste: Das Wohlergehen Ihrer Klienten. Seien Sie die Lichtblicke in der Pflegewelt!

Die PflegeNews der kommenden Woche behandeln die Mythen rund um die soziale Betreuung. Seien Sie gespannt, was in diesem Bereich wichtig und richtig ist.

Mit Sonne im Herzen,

Ihre Regina Repp